Von Fischattrappen bis Glitzer-Vorhängen: Die skurrile Welt von Amazon Haul

Der Online-Handelskonzern Amazon will das Billigsegment beim Onlinehandel nicht länger Billiganbietern wie Temu oder Shein und anderen chinesischen Plattformen vorbehalten und hat deshalb Amazon Haul (zu Deutsch: Beute, Fang) auf den Markt gebracht. Seit November vergangenen Jahres gibt’s die Plattform in den USA, vor einigen Wochen kam mit Großbritannien der erste europäische Markt dazu. Jetzt startet Amazon auch in Deutschland – allerdings ähnlich wie in den anderen Testmärkten auch nur im Rahmen einer Beta-Version.
Das Konzept ist auch in Deutschland dasselbe: „Damit bieten wir Tausende von Produkten für 20 Euro oder weniger, die meisten davon für weniger als 10 Euro und einige sogar für nur 1 Euro, so dass Kundinnen und Kunden beim Shopping einen wirklich guten Fang (engl. Haul) machen können“, erklärt Amazon in einer Pressemitteilung. Die Artikel für wenige Euro sind mit dem Hinweis „krass günstig“ gekennzeichnet, damit sie besonders auffallen, außerdem gibt’s ein Beststeller-Logo.
Buchstäblich buntes Sammelsurium an Waren
Das Sortiment umfasst Mode, Elektronik, Haushalt und Lifestyle-Artikel – stilistisch angelehnt an erfolgreiche Konzepte wie Temu: bunte Gitter-Layouts, Gamification-Elemente und spontane „Crazy Deals“. Man merkt auch hier, dass der spielerische Ansatz mit situativen Kaufanreizen für überschaubare Beträge wichtig ist.
Insgesamt wirkt die Auswahl noch erstaunlich beliebig, das Auffinden der passenden und gewünschten Produkte ist ähnlich schwierig wie bei den chinesischen Vorbildern – und die Temu-Anmutung ist schon (im schlechtesten Sinne) ziemlich gut getroffen. So wirklich ausgereift wirkt auch die Größenumrechnung nicht – die Zoll-Längen bei Gürteln und die Größenangaben von S bis XXL bei anderen Bekleidungsartikeln etwa lassen die Bestellung zu einem ähnlichen Glücksspiel werden, wie wir das von den chinesischen Plattformen kennen. Das kann Amazon eigentlich besser.
Bei Computer- und Elektronikzubehör unterscheidet sich das Angebot übrigens ebenfalls gründlich von der klassischen Amazon-Seite, sowohl inhaltlich als auch beim Pricing. Es kann sich also durchaus lohnen, hier als Kund:in gesondert zu prüfen, ob ein bestimmtes Zubehörteil verfügbar ist. Vielleicht geht es manchen Kund:innen aber auch nur einfach darum, skurrile Dinge zu finden wie die lebensechten Fischattrappen, herrlich-kitschige Glitzervorhänge oder Hemden, mit deren 80er-Jahre-Design man auf jeder Bad-Taste-Party eine gute Figur macht. Ähnlich wie bei Temu merkt man insbesondere bei den in deutscher Sprache produzierten Waren wie Stempeln mit saisonalen Grüßen, dass vieles im chinesischen Markt erst einmal in großer Varianz auf den Markt geworfen wird und dann geprüft wird, was sich verkauft.
Versandkostenfreies Haul ab 25 Euro Lieferwert
Wer sich dann bis zum Warenkorb vorgekämpft hat, bekommt immerhin Rabatt: 5 Prozent gibt’s auf Bestellungen von 50 Euro aufwärts und 10 Prozent auf Bestellungen ab 75 Euro. Die Gratis-Lieferung steht bei Amazon Haul in Deutschland ab einem Bestellwert von 25 Euro oder mehr bereit, darunter liegt die Liefergebühr 3,50 Euro pro Bestellung. Die Rückgabe von Artikeln ist für Kunden kostenlos, wenn sie innerhalb von 15 Tagen nach Lieferung um Erstattung bitten. Meistens müssen Sie sich nicht um Kartons oder Etiketten kümmern. Das macht der Paketdienst, egal ob man über DHL, Hermes oder UPS versendet.
Amazon Haul ist bislang ausschließlich über die Amazon Shopping-App verfügbar und will ein Einkaufserlebnis in der App mit eigener Suche, Warenkorb und Kasse bieten. Amazon Haul-Bestellungen werden binnen zwei Wochen oder weniger geliefert, was ebenfalls ein Novum für Amazon ist, die ja ansonsten vor allem auf schnellstmögliche Lieferung achten und damit einiges im Markt verändert haben.
Dass Amazon in diesem rasant wachsenden Marktsegment früher oder später mitmischen würde, zeichnete sich bereits seit Längerem ab – ebenso dass Amazon sich den für das Unternehmen wichtigen deutschen Markt hierbei nicht entgehen lassen würde. Für viele chinesische Händler:innen, die meist äußerst preissensibel agieren und ihre Verkaufsstrategien schnell an neue Plattformen anpassen, bietet Amazon ein attraktives Umfeld: große Reichweite, internationale Infrastruktur und Vertrauen bei den Endkund:innen.
PS5, Schrotflinten und Drogen: Wenn Amazon-Bestellungen nach hinten losgehen
Sinnvolle Ergänzung für Amazon
Für Amazon wiederum ist der Vorstoß in das Discountgeschäft eine strategisch sinnvolle Möglichkeit, seine Marktanteile in einem hart umkämpften Segment auszubauen – auch wenn das bedeutet, sich in Teilen selbst zu kannibalisieren. Denn würde das Unternehmen diese Kund:innen ziehen lassen, wanderten sie zunehmend zu Portalen wie Temu, Shein oder AliExpress ab. Mit Amazon Haul greift der Konzern also jene Zielgruppen ab, die bislang für günstige Kabel, Handy-Zubehör, Küchenutensilien oder trendige Modeartikel andere Plattformen bevorzugt haben. Der Vorstoß birgt also nicht nur wirtschaftliches Potenzial, sondern auch eine strategische Neupositionierung im Wettbewerb um die Schnäppchenjäger:innen Europas.
Da Haul ein Teil des „normalen“ Angebotes von Amazon ist, lassen sich zudem sämtliche Daten, die Kund:innen und Interessent:innen beim Stöbern hinterlassen, auch für Amazon im klassischen Marktumfeld nutzen – sicherlich auch unter diesem Gesichtspunkt ein „Haul“ für das Unternehmen selbst.
Wer Amazon Haul ausprobieren will, muss die aktuellste Version der Amazon-App auf seinem Android- oder iOS-Endgerät installiert haben. Allerdings kommen derzeit noch nicht alle Kund:innen in den Genuss des neuen Shoppings. Haul lässt sich – sofern man schon dafür freigeschaltet ist – finden, indem man im Suchfeld „Haul“ eingibt oder über das Symbol im Hauptmenü zu Amazon Haul navigiert. Wer Haul angibt, sieht dann direkt das blaue Haul-Logo. In den kommenden Wochen wird Amazon Haul dann auch für alle anderen Kund:innen bereitgestellt.